Login fehlgeschlagen.

Zum 100. Geburtstag von Virginia Satir (26.06.1916 – 10.09.1988)

In diesem Jahr wäre Virginia Satir 100 Jahre alt geworden. Sie wurde am 26. Juni 1916 in Neillsville in Wisconsin geboren. 1932 begann sie ihre Ausbildung am Milwaukee State Teachers College (jetzt University of Wisconsin-Milwaukee), die sie mit einem Bachelor- Abschluss beendete. Nach einer Zeit der Tätigkeit als Lehrerin absolvierte Satir eine Ausbildung zur Sozialarbeiterin und begann 1951 in eigener Praxis mit Familien zu arbeiten. Ab 1955 unterrichtete sie das Fach Familiendynamik am Illinois Psychiatric Institute. Sie setzte sich mit großem Selbstbewusstsein als erste weibliche Pionierin auf dem Gebiet der Familientherapie durch. Ende der 1950er Jahre zog sie nach Kalifornien. Dort wurde sie 1959 von Don D. Jackson und Jules Ruskin in das Gründungsteam des Mental Research Institute in Palo Alto bei Stanford (USA) berufen, wo sie die Leitung der Ausbildungsabteilung des Instituts übernahm und das erste familientherapeutische Ausbildungsprogramm in den USA entwickelte. Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre war Virginia Satir häufig in Deutschland zu Gast, um hier Workshops und Kurse zu geben. Viele Therapeutinnen und Therapeuten wurden von ihr geprägt und führten ihre Arbeit mit Familienskulpturen und die von ihr entwickelte Methode der Familienrekonstruktion fort. Virginia Satir betonte die große Bedeutung der familiären Kommunikation für das Selbstwerterleben und war eine Meisterin im Aktivieren des positiven Potentials in Menschen. Insofern kann sie als Wegbereiterin ressourcen- und lösungsorientierter Ansätze in der systemischen Therapie gesehen werden.

Martin J. Kirschenbaum über Virginia Satir:

  • Martin J. Kirschenbaum war in den 1960ger Jahren tätig als Leitender Psychologe am San Francisco Day Tribune Centre in Kalifornien. In dieser Zeit nahm er an einem der ersten Ausbildungsprogramme in Familientherapie in den USA am Mental Research Institute unter der Leitung von Virginia Satir teil.
  • Er war von 1975 – 2005 Leiter zahlreicher systemischer Weiterbildungen in Deutschland und Gründer des Münchener Instituts für Systemisch-Integrative Therapie, MiSiT e.V.

Martin Kirschenbaum: „Ende der 1960er Jahre traf ich Ben Haendelmann, der Leitender Sozialarbeiter am NAPA State Hospital war. Er sagte: „Marty, es gibt da unten in Palo Alto eine Frau, die macht Live-Therapie mit Familien. Die ganze Familie kommt in die Sitzung. Willst du mitkommen und ihr zuschauen?“. „Die ganze Familie?“, sagte ich. „Ja, alle, die Mutter, der Vater, die Kinder, sogar das Au-Pair-Mädchen und sogar die Köchin. Alle!“. Ich fragte erstaunt: „Sie arbeitet mit der ganzen Familie?!“

Denn ich war vor allem darin ausgebildet, Individuen zu behandeln oder eine Gruppe. Wir beschlossen, das Mittagessen sausen zu lassen und uns aus dem Krankenhaus zu schleichen. Wir fuhren runter nach Palo Alto in die Middleton Road, in das Mental Research Institute. Ich bekam die Erlaubnis rein zu gehen und Virginia Satir zu beobachten, wie sie Familientherapie hinter einer Einwegscheibe machte. Ich war sehr beeindruckt und ich stellte fest, dass ich wieder einmal „nach Hause“ gekommen war.

Ich realisierte, dass die Arbeit, die ich in phänomenologischer Psychologie und in analytischer Therapie gemacht hatte, dass das alles mit systemischer Therapie zusammen passt, wie Hand und Handschuh. Ich fühlte, dass alles zusammenkommt, alles durch die Familientherapie zu einer Synthese kommt, all die Modelle und Methoden. Folglich fragte ich Virginia, ob ich mich für dieses Weiterbildungsprogramm bewerben könne. Sie sagte: „Ja, schön!“. Also nahm ich in den folgenden Monaten an dem Programm teil, in welchem ich von Virginia Satir in Familientherapie ausgebildet wurde.

Ich erinnere mich, wie Virginia Satir immer alles vor den Teilnehmern demonstriert hat, mittendrin und ganz direkt! Sie zeigte dir die Interaktion, sie analysierte die Interaktion. Und sie wollte alle berühren. Sie berührte die ganze Zeit die Leute. Damals war Berührung erlaubt. Sie fasste Leute an. Sie war sehr warmherzig, sehr großzügig mit ihrem Lächeln und sehr freigiebig und sehr klar, sehr strukturiert. Virginia!

Virginia Satir war absolut der wichtigste Einfluss auf mich und aus meiner Sicht auch auf die Familientherapie. Sie war so dynamisch und so bereit, alles vorzumachen und uns zu zeigen, was sie tat. Sie hielt nicht einfach nur Vorträge, hinter einem Buch verschanzt oder von einem Vortragspodium herunter. Sie war bereit, nach vorne zu gehen und zu zeigen, was vor sich ging. Sie demonstrierte alles. Sie fasste alles irgendwie in eine dramatische Form. Und dann brach sie es runter in einzelne Sequenzen. Zuerst entwarf sie also ein Gesamtbild und dann brach sie es runter. Und du konntest sehen, wie sie mit Interaktionen umging. Sie war die erste Person, die mich lehrte, wie man Interaktionen von einem systemischen Standpunkt aus betrachtet.

Absolut präsent und sehr großzügig und sehr freigiebig und eine ganz fantastische Lehrerin! Die beste Lehrerin, die ich je kennen gelernt habe. Und sie nahm in jedem Menschen auch Gesundes und Hoffnungsvolles wahr. Sie sah, was das Potential in den Menschen war. Sie eröffnete mir das Wachstumsmodell. Sie erschloss das, was in jedem Menschen an positiven Möglichkeiten schlummerte, das, was man hervorbringen konnte.“

Dieses Zitat ist entnommen:
„Martin J. Kirschenbaum – ein Portrait“
Eine Filmproduktion des Münchener Instituts für Systemisch-Integrative Therapie, MISIT e.V. / Elisabeth Breit-Schröder / 2013
DVD 1 - Kapitel 11: „Von der Psychoanalyse zur Familientherapie“
www.misit.de

Elisabeth Breit-Schröder
Dipl.-Psych / Psychologische Psychotherapeutin
Lehrende für Systemische Therapie, Beratung und Supervision (DGSF)